Bye bye, Twitter
Last updated: Nov 5, 2022
Im April 2008 habe ich meinen Twitter-Account angelegt - Ein alter Freund meinte, daß das toll ist und ich fand es auch sofort angenehm. Da ich schon seit 40 Jahren chatte, war mir die Kommunikationsform über kurze Textschnipsel gleich sympathisch, und ein gewisses Maß an Memes und Katzenbildern in der eigenen Zeitleiste find ich auch unterhaltsam.
Anfangs war Twitter irgendwie nerdig und auch ein bisschen elitär. Im deutschen Twitter kommunizierten Nerds und Randgruppen miteinander, und international hatte ich viele Kontakte in der Technologieszene. Man spielte mit Bots herum, die im Twitter den Wetterbericht verkündeten und dergleichen, und insgesamt war es ein spaßiges weltweites System, mit dem man mit Leuten in Kontakt kommen oder bleiben konnte. Twitter war meine Quelle für Memes und Katzenfotos, mein Ventil für kleine Rants und mein Fenster in die Lokalpolitik in der Zeit, als die Piratenpartei dort für ein kleines Frühlingsstürmchen sorgte.
Überhaupt die Zeitleiste: Ich möchte gerne Kontrolle darüber haben, was dort auftaucht, und ich bin immer so vielen und den Leuten gefolgt, die mir ein angenehmes Leseerlebnis in der Zeitleiste beschert haben. Es gab immer mal wieder solche, die stoßweise dutzende Tweets geschickt haben, und denen bin ich dann eben entfolgt. Als Twitter irgendwann die algorithmische Zeitleiste, euphemistisch “Beste Tweets” genannt, eingeführt hat, war ich kurz vor dem Absprung, aber glücklicherweise konnte man nach Protesten bald wieder auf die chronologische Anordnung umschalten und ich blieb.
Ein kleiner Wendepunkt kam 2015, als der von mir geschätze Stephen Mangan anfing, Donald Trump zu beschimpfen. Bis dahin waren Prominente auf Twitter eher die Ausnahme, und verdienten schon allein dafür Respekt, dass sie dieses komische System auch benutzten. Nun aber fingen die Promis an, miteinander zu kommunizieren und ihre jeweilige Anhängerschaft mitzubringen.
Mit Donald Trump als Zugpferd war Twitter in den folgenden Jahren nicht mehr das freundliche Nerd-System am Rande des Internets, sondern stand im Mittelpunkt des Medieninteresses. Für Politik und Medien war es nun selbstverständlich, eine Twitter-Präsenz zu unterhalten und (sich) dort in Echtzeit über das Weltgeschehen zu unterrichten.
Dank der weiter verfügbaren chronologischen Zeitleiste und der Möglichkeit, das Webinterface praktisch werbefrei zu benutzen, gelang mir die Pflege meiner eigenen gemütlichen Blase weiter einigermassen, aber der Blick auf die “Trends für Dich”-Spalte hat mich regelmäßig abgestoßen: Trends in Deutschland wie “Brüste”, “#7vswild” oder “#HabeckRücktrittSofort” hatten mit meinem Twitter nichts zu tun, und ich wollte noch nicht mal die Titel sehen, geschweige denn mehr über diese Trends erfahren.
Als Elon Musk im April 2022 bekanntgab, Twitter übernehmen zu wollen, stellte sich bei mir sofort ein Fluchtreflex ein - Musk hatte sich über die Jahre vom visionären Spinner zu einem superreichen Superschurken entwickelt und es schmeckte mir nicht, dass mein Internet-Wohnzimmer nun von dieser Person bestimmt werden sollte. Klar, Jack Dorsey ist mir auch unsympathisch, aber Musk ist halt ein richtiges Ekelpaket. Da “die anderen” alle von Mastodon redeten, habe ich mir das auch mal angesehen, aber es erschloß sich mir nicht sofort und dann wollte Musk wieder aussteigen und die Schwerkraft siegte.
Nun aber, im Oktober 2022, ist Schluß. Elon Musk hat den Laden gekauft, sich selbst zum Chef gemacht, von “Free Speech” und von Aktivisten, die die Werbekundschaft vergraulen gefaselt und die halbe Belegschaft gefeuert. Klar, der Kapitalismus ist eine harte Sache und Twitter ein defizitäres Unternehmen - Aber das ist für mich, als Mensch, nicht relevant. Ich will mein Kommunikationsbedürfnis befriedigen, und ganz offensichtlich ist Twitter nicht die Plattform, die sich dafür interessiert.
Ich bin nun also @hanshuebner@mastodon.social, habe ein Patreon-Abo bei Mastodon und bastle mir eine neue Blase. Vielleicht klappt es ja, und es finden sich genug Menschen, die dieses System wirklich haben wollen und denen das auch etwas Geld wert ist. Ich weiss jedenfalls jetzt, dass ich meine persönliche Kommunikation nicht in der Hand von einem Unternehmen wissen will, welches Gewinne erwirtschaften muss. Warum gibt es eigentlich (fast) keine Fediverse-Knoten, die von unserem öffentlich-rechtlichen Rundfunksystem betrieben werden?